Predigt und Gottesdienst am 25.12.2025

Weihnachten: Neujahr kommt früher, als man denkt | DIE ZEIT

Ein wichtiger und guter Artikel, der mich zu einer besonderen Predigt inspirierte. 

Pfarrer Jean-Pierre Barraud.                                                                                                                                              Kunstbeauftragter der ELKB für Augsburg und Schwaben.

Glocken

Orgel

Begrüßung und Hinführung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen

Der Herr sei mit euch und mit deinem Geist.

Fröhliche Weihnachten und ein gutes seliges Jahr.

Was es mit den Neujahrswünschen auf sich hat, dazu kommen wir noch später.

Zunächst etwas, das ihnen vertrauter erscheint und klingt:

„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“

Gott ist in die Welt gekommen.

Im Licht des ersten Weihnachtstages wollen wir dies Wunder feiern und bedenken.

Dazu ein Zitat von Hannah Arendt auf die wir später noch zu sprechen kommen:

„Weil jeder Mensch aufgrund des Geborensein ein Initium, ein Anfang und Neuankömmling in der Welt ist, können Menschen Initiative ergreifen, Anfänger werden und Neues in Bewegung setzen. Der Neuanfang steht stets im Widerspruch zu statisch erfassbaren Wahrscheinlichkeiten, er ist immer das unendliche Unwahrscheinliche; er mutet uns daher, wo wir ihm in lebendiger Erfahrung begegnen, immer wie ein Wunder an.“

Hannah Arendt

Lied 33.1-3

Der Mensch vor Gott

Was für ein Wunder ist die Geburt: Ein Kind wächst in seiner Mutter.

Erst wenn es zur Welt kommt, kann man es ganz sehen:

Mit Händen, Füßen, Näschen und Fingernägel. 

„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“

Babys sind richtige Überraschungspakete.

Noch ganz klein und hilflos und doch steckt so viel in ihnen,

was man nur ahnen kann.

Aus Mose, dem Kind im Schilfkörbchen,

wurde der große Führer seines Volkes.

In Jesus, dem Krippenkind, kam Gott auf die Welt

und zeigte in ihm seine ganze Liebe zu den Menschen.

„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“

Es bleibt ein kostbares Geheimnis: Der, der von Anfang an war und so groß ist,

dass wir ihn nicht fassen können – in diesem kleinen Kind ist er leibhaftig.

„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“

Mit Jesus sind wir Kinder Gottes und Erben seiner Verheißung.

Das ist zu hoch, um es mit dem Verstand zu begreifen.

Doch wer sich wie die Hirten auf den Weg zur Krippe macht,

wird verändert zurückkommen:  bewegt und berührt von der Menschenliebe Gottes.

„Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit.“

Lied 23.1-7

Gebet

Gott,

alle Jahre wieder

hören wir die Botschaft,

dass du Mensch geworden bist,

um uns nahe zu sein.

Öffne unsere Ohren, Herzen und alle Sinne,

damit uns diese Botschaft begeistert,

damit sie uns in Bewegung setzt

wie die Hirten und die Weisen aus dem Morgenland.

Gott,

wir danken dir für deine gute Botschaft,

dass du Mensch geworden bist.

Lass auch uns zu Menschen werden,

weil wir dich im Kind erkennen.

Du bist unser Bruder und Herr.

Jeder Mensch ist ein Abglanz von deiner Herrlichkeit.

Nach deinem Wort sind auch wir Fleisch geworden.

Darum sehen wir in jedem Menschen deine Herrlichkeit.

Amen

Lesung Joh. 1.1-5+9-18

Ehre sei dir Herr. Lob sei dir Christus

Lied 35.1-4

Predigt

Welch Geheimnis ist ein Kind!

Gott ist auch ein Kind gewesen.
Weil wir Gottes Kinder sind,

kam ein Kind, uns zu erlösen.

Welch Geheimnis ist ein Kind!

Wer dies einmal je empfunden,

ist den Kindern durch das

Jesuskind verbunden.

Clemens Brentano

Gnade sei mit euch Friede, von dem der da war, der da ist und der da kommt.

Amen

Ein Bild sagt manchmal mehr als tausend Worte.

So heißt es doch.

Darum steht heute am Anfang der Predigt ein Bild und nicht das Wort.

Schlagen Sie im Gesangbuch doch bitte die Seite 62 auf.

Was sehen wir dort?

Jesus wird dort als kleines Kind mit wehendem Gewand und Heiligenschein dargestellt.

Im Hintergrund ein Holzkreuz, welches seine Passion andeutet,

sowie ein Spruchband mit der Aufschrift ein guot selig jor.

Die Füße des Kindes stehen auf einer Rose und verweisen daher auf den Propheten Jesaja.

1 Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Jes 11.1

Wenn man im Gesangbuch nachschlägt, findet man weitere Angaben zu diesem Bild.

Neujahrsglückwunsch steht da. Um 1490. Anonym.

Gemeint sind damit aber nicht Wünsche zum 1.1.1491 sondern zum 24.12.1490.                                                                                 Oder um es auf uns anzuwenden, es gilt nicht der 1.1.2026 sondern der 25.12 bzw. 24.12 2025.

Auch in einem der bekanntesten Weihnachtslieder, nämlich ‚Vom Himmel hoch da komm ich her‘, von Martin Luther, werden wir auf diese Spur gesetzt. Weihnachten als Neujahr?

In der 15 Strophe heißt es dort:

Lob, Ehr sei Gott im höchsten Thron, der uns schenkt, seinen eig’nen Sohn. Des freuet sich der Engel Schar und singet uns solch neues Jahr.

Als ich in den Tagen vor Weihnachten eine große deutsche Wochenzeitung las, stieß ich auf einen Artikel, den ich Ihnen heute vorlesen werde.

Denn er zeugt von derselben Art zu denken und ist ein wunderbares Beispiel, wie Moderne und Weihnachten sich auf’s beste miteinander verstehen und vertragen.

Die Überschrift lautet: Neujahr kommt früher, als man denkt.

Die Unterüberschrift:

Weihnachten ist die Zeit des Aufbruchs, so sah es nicht nur Hannah Arendt.                                                                               Über eine Botschaft, die in diesem Jahr eine besonders gute ist.

Der Autor dessen, was Sie jetzt gleich hören werden, ist der Journalist Heino Rauterberg.

Im Jahr 2017 haben ich ihn im Rahmen der Documenta in Kassel in der evangelischen Akademie Hofgeismar erleben können. Schon damals war ich von ihm begeistert. Als alle Welt nach Venedig und Kassel fuhr schlug er einfach mal vor nach Münster zu Skulpturen Projekte zu fahren. 

Aber was er nun zu Papier gebracht hat, hat nach meiner Auffassung nicht nur das Zeug dazu, vorgelesen zu werden, sondern ist geradezu eine Inspirationsquelle, wie Glaubens und Wissensvermittlung im 211 Jahrhundert vonstattengehen kann.

Ich denke, wir sollten uns nicht als Kirche nicht zu fein sein, auf solche gelungenen Beispiele zurückzugreifen, von denen die es einfach können. Lernen kann man am besten von den Besten. Das war schon immer so.

Mir hat der Artikel jedenfalls die Kraft des Stauens wieder geschenkt. Das Stauen ist ja ein zentraler Aspekt der Philosophie. Das Staunen wird gar als Ursprung des philosophischen Denkens betrachtet. Staunen ist insbesondre bei den Philosophen Aristoteles und Platon der Anfang der Philosophie. bzw. der Beginn der Weisheit. Und zu wissen, das das Wissen bei allem Wissen limitiert ist hilfreich um sich nicht zu überschätzen.

Ja, und jetzt fange ich an zu lesen. Keine Messe. Aber vielleicht eine Predigt von einem, der gar nicht predigen wollte, dem es aber in meinen Augen bestens gelungen ist.

Hanno Rauterberg schreibt:

„Das neue Jahr beginnt wie immer am 24. Dezember. Und nichts spricht dagegen, die Wunderkerzen und Raketen schon am Heiligabend auszupacken. Mag ja sein, das Weihnachten noch immer als Fest der Stille und Besänftigung gilt. Das ist ein zimtiger Irrtum. In Wahrheit ist Weihnachten ein Fest des Aufbruchs und der Befreiung. Endlich vergeht das Alte! Endlich soll, darf und kann etwas ganz anderes beginnen! Weihnachten, so sah es die Jüdin Hanna Arendt, ist der Anfang des Anfangs, neuer als jedes Neujahr.

Denn was wird da gefeiert? Für Christen, klar; es ist die Geburt des Erlösers.im Stall, bei ochs und Esel, wird der ewige Gott zum vergänglichen Menschen, er zeigt sich ungeschützt und verletzlich. Eine verrückt paradoxe Botschaft: dass er sich säuglingsklein macht, ist als rührend ist und anrührbar wird. Auch kirchenferne Menschen dürfen sich darüber wundern: dass Christen nicht das Ewige und Unantastbare ins Zentrum ihres Glaubens rücken. Sondern den Augenblick des Zur-Weltkommens und der Arglosigkeit. Weihnachten meint ebenjenen unerhörten Augenblick eines jeden Menschen, in dem alles möglich scheint. Ein Moment größter Offenheit.

Wohl selten war die Sehnsucht nach solcher Offenheit größer als jetzt, wo alles schrecklich verfahren scheint: Wohin man schaut, wächst die Ungewissheit, verschärfen sich Konflikte, verhärten sich Fronten, die Bereitschaft zur Radikalisierung könnte größer kaum sein. Umso dringlicher braucht es Menschen wie Hannah Arendt, die als Jüdin während der NS-Zeit die grausamsten Erfahrungen machen musste und dennoch mit erstaunlicher Zuversicht auf den Menschen blickte. Mit einer Haltung des Trotzdem. Der Mensch sei, davon war Hannah Arendt überzeugt, „nicht geboren, um zu sterben, sondern im Gegenteil, um etwas Neues anzufangen.“.

Wir müssen nicht bleiben, wie wir sind. Nichts muss so bleiben.

Das war für Hannah Arendt die Verheißung der Geburtsnacht Jesu. Weihnachten als das Fest einer rundum belebenden Erinnerung: daran, dass alle Menschen, wirklich alle, einst Neuankömmlinge waren. Und sie weiterhin auf diese Kraft des Neuankommens und Neuansetzens vertrauen dürfen. Worte wie alternativ- oder aussichtslos gibt es bei Hannah Arend nicht. „Wir können etwas beginnen“, schreibt sie, „weil wir Anfänge und damit Anfänger sind“.

Und nein, Hannah Arendt war nicht naiv, sie war eine gewitzte, hochpolitische Denkerin. Nie hätte sie angenommen, die Welt sei mit ein wenige Seelenschau und Weihnachtslametta zu retten. Viele Gesellschaftsdebatten trieb sie voran, oft mit umstrittenen Ideen. Und noch heute, fünfzig Jahre nach ihrem Tod, wird darüber diskutiert. Doch die großen Probleme ganz allein der politischen Sphäre zu überlassen, wäre ihr grundfalsch erschienen. Vehement appellierte sie an die Verantwortung der Einzelnen und warnte ihre Zeitgenossen, sich bloß nicht im selbstgerechten Groll- und Schmollwinkel zu verkriechen.

So wie mit der Geburt ein neuer Anfang möglich wird, kann auch mitten im Leben etwas Neues beginnen – erst recht für alle, die auf die Macht der Vergebung setzen, für Arendt ein „Heilmittel gegen die Unwiderruflichkeit.“ Denn auch deshalb blickte sie mit einiger Faszination auf die christliche Religion und ebenso auf die Weihnachtsnacht, auf Jesus von Nazareth: Er brach mit der herrschenden Vergeltungslogik seiner Zeit und machte die Idee der Vergebung zu seinem Leitprinzip.

Schon damals, vor 2000 Jahren, stecken viele Menschen fest im ewigen Wiederholungszwang aus Gewalt und Rache und wieder Gewalt. Der Krieg schien schicksalhaft zu sein, und immerzu blutige Opfer zu bringen, schien unausweichlich, um die Götter friedlich zu stimmen. Die Geschichte, eine Endlosschleife, es gibt kein Voran.

Mit der Geburt Jesu jedoch kam eine andere Idee zur Welt. Sie wurde, man muss es pathetisch sagen, als revolutionärer Bruch verstanden: als Befreiung aus der Unausweichlichkeit.

Und Hannah Arendt träumte von einer solchen Befreiung. Sie lebte in Zeiten übermächtiger Gewalt, viele Menschen, insbesondere in Deutschland, hatten unendliche Schuld auf sich geladen. Dennoch – oder gerade deshalb – fand es Arendt unerlässlich, dass sich Opfer nicht in ihrem Opfersein verbunkern. Viel besser sei es, sie würden Vergebung auch als eine Gabe an sich selbst begreifen. Um den Zorn loszuwerden, die Rachsucht, das Ressentiment. Um sich also von all dem zu entbinden, was die Opfer auch Jahre nach der Tat noch an die Täter kettet.

„Gäbe es nicht eine Mitwelt, die unsere Schuld vergibt, wie wir unseren Schuldigern vergeben, könnten auch wir uns kein Vergehen und keine Verfehlung verzeihen.“

Vergebung – für Arendt eine Form der Neugeburt, des Neuanfangs.

Solche Gedanken mögen ebenfalls naiv klingen angesichts der Gräuel und Schrecken des ablaufenden Jahres. Auch für Arendt gab es Schuld, die nicht vergeben werden kann und darf; „das absolute Böse“ war durch nichts gutzumachen. Doch sich der Verbitterung hingeben, dem Zorn, einer selbstgerechten Wut?

Unsere Hassgefühle werden nicht von selbst verrauchen, auch das gehört für Arendt zur Wahrheit. Die Unerbittliche, die Halsstarrigkeit, die Rechthaberei, all das, was die Debatten der Gegenwart gerade besonders prägt, rufen nach einem Gegenprogramm. Und was, wenn nicht Weihnachten könnte, das Gegenprogramm sein.

Nicht, um sich einen falschen Frieden vorzugaukeln, bratensatt, glühweintrunken. Sondern um mit weihnachtsradikalem Mut die eigene Anfänglichkeit in den Blick zu nehmen. Es braucht eine gewisse Selbstlosigkeit, um sich selbst loszuwerden. Um das alte, verpanzerte Ich zu erweichen. Oder um, mit einem Blick aufs Kind in der Krippe, die eigene Bedürftigkeit zu spüren.

Oft heißt es ja, das größte Geschenk sei das Leben. Nur ist es ein Geschenk, das immer aufs Neue ausgepackt und entfaltet und bestaunt werden will. Weihnachten ist die allerbeste Gelegenheit dafür. „Das man in der Welt Vertrauen haben und das man für die Welt hoffen darf“ schrieb Hannah Arendt, „ist vielleicht nirgends knapper und schöner ausgedrückt als in den Worten, mit denen die Weihnachtsoratorien ‚die frohe Botschaft‘ verkünden: Uns ist ein Kind geboren.

Soweit die Worte des Journalisten Hanno Rauterberg vermengt mit den hellsichtigen Worten der Philosophin Hanna Arendt zu Weihnachten.

Fangen wir neu an.

Denn „wir sind nicht geboren, um zu sterben, sondern im Gegenteil, um etwas Neues anzufangen.“

Darum ein gut seliges Jahr. Frohe Weihnachten.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft bewahre euch in Jesus Christus, der als Kind zur Welt kam, auf das wir Anfänger werden und bleiben. Amen.

Lied 45-1-4

Abkündigungen

Fürbitten                         

Du kleines Kind, du Mensch gewordener Gott.
Du Licht vom wahren Licht,
Du Liebe über alle Liebe, wir beten dich an.                                                                                                                                              Mit den Hirten kommen wir zu dir
und bitten um Gerechtigkeit.                                                                                                                                                                      Mit den Königen kommen wir zu dir
und bitten um Frieden für die Völker dieser Erde,
Mit Maria und Josef kommen wir zu dir
und bitten dich um Schutz und Schirm vor dem Bösen.
Mit den Schafen, mit Ochs und Esel kommen wir zu dir
und bitten um deinen lebensspendenden Atem
Mit den Sternen kommen wir zu dir
und bitten um Licht für alle, die in Angst leben.
Mit den Engeln kommen wir zu dir und bitten um Glück für die Einsamen und alle,                                                                                die in diesen Tagen und Nächten arbeiten.
Mit unseren Liedern kommen wir zu dir
und bitten um Hoffnung und Mut.
Du kleines Kind, du Mensch gewordener Gott.
Du bist die Liebe über alle Liebe, wir beten dich an.

ABM-Danksagung

Lasst uns Gott dank sagen mit dem Lied: O du fröhliche, o du selige gnadenbringende Weihnachtszeit

Lied 44.1-3

Sendung und Segen

Orgel